Andreas Züst, SpiegelbergAndreas Züst, Spiegelberg
Andreas Züst, Max Wiederkehr/ Sigmar Polke, 1976Andreas Züst, Max Wiederkehr/ Sigmar Polke, 1976
Andreas Züst, SelbstporträtAndreas Züst, Selbstporträt
Timmermahn, Triumph des Waals, 1997 (Sammlung Andreas Züst)Timmermahn, Triumph des Waals, 1997 (Sammlung Andreas Züst)
Andreas Züst, o.T. (Thule)Andreas Züst, o.T. (Thule)
Andreas Züst, Selbstporträt, 1978Andreas Züst, Selbstporträt, 1978

Schon oft wurde das Gedächtnis mit einem Haus verglichen, fast schon abgestanden wirkt der Vergleich, so unmittelbar einleuchtend wirkt er. Doch nur selten stösst man auf ein Haus, das dem Besucher tatsächlich das Gefühl vermittelt, er betrete einen Wissensspeicher, geordnete, materiell verdichtete Erinnerung und Erfahrung. Wer einmal Andreas Züsts Haus Spiegelberg besucht hat, weiss, wovon ich spreche. Vom Garten, in dem ausgewählte Exemplare seltener Spezies blühten, über den Keller, in dem neben Portweinflaschen die Malexperimente aus der psychedelischen Phase des Hausherrn lagerten, hinauf zum Dachstock, wo man, nebst Tausenden von Büchern, vorzugsweise Erstausgaben, allerhand Kuriosa, beispielsweise einen Narwalzahn, bestaunen konnte – der Spiegelberg war gewissermassen eine Autobiografie in Form eines Hauses, in jedem Winkel stiess man auf Spuren und Zeugnisse der verschiedenen Lebensstränge Züsts, der immer vieles zugleich war: Glaziologe, Wetterbeobachter, Fotograf, Maler, Nachtschwärmer, Verleger, Filmproduzent, Bibliomane, Kunstsammler, Mäzen.

So vielgestaltig Züsts Wirken auf den ersten Blick auch scheinen mag, es war immer von der einen, sich gleichbleibenden Leidenschaft gelenkt: Forschen und Sammeln, die für ihn eins waren, wie für einen Naturforscher alter Schule, der auf Exkursionen und Expeditionen Exemplare typischer und seltener Spezies zusammenträgt, um sie sodann zu präparieren und in Wunderkammern zu ordnen. Züsts Sammlungen, die er auf dem Spiegelberg hortete, waren Chroniken seiner Welterkundung. Seine weltweit einzigartige Polarsammlung verwies auf seine Aufenthalte in der Antarktis, die Plattensammlung dokumentierte seine Leidenschaft für Populär- und Untergrundkulturen, die Kunstsammlung zeigte, gerade in ihrem Nebeneinander von Spitzenwerken und Mittelmässigem, die Entwicklung der Kunstszene von den späten 1970ern in die 1990er Jahre exemplarisch auf, während die Tausende von Büchern zu allen möglichen und unmöglichen Gebieten von der schrankenlosen Neugier des Hausherrn zeugten. Züsts Sinn für Objekte als zur Anschaulichkeit geronnenes Wissen war gleichermassen Kunst und Naturforschung verpflichtet, markierte eine Schnittstelle, an der ihr gemeinhin wahrgenommener Gegensatz sich auflöst.

Das perfekte Medium für den Sammlerforscher Züst war die Fotografie, die ihm als Weltspeicher diente. Züsts fotografische Arbeiten sind Bildersammlungen, die Phänomene in ihrer berauschenden, verwirrenden, zuweilen absurden Vielgestaltigkeit ausloten. Die Einzigartigkeit seines fotografischen Schaffens zeigt sich im Nebeneinander seiner verschiedenen fotografischen Forschungsgebiete, das sich nun langsam zu erschliessen beginnt. Ob es nun die Bewohner des städtischen Kultur- und Subkulturbiotops sind, die Züst in «Bekannte Bekannte» katalogisierte, Nebelmeere, auf denen die Lichter der Zivilisation spielen, oder Kreisel, deren leere Mitte unseren Gestaltungswahn herausfordert – der Geist hinter den verschiedenen Serien ist immer der gleiche, erst in ihrem Nebeneinander wird er fassbar. Auf seine ganz eigene Art war Andreas Züst einer der letzten Universalgelehrten, der sich der Zerstückelung der Welt in Spezialgebiete für Fachidioten radikal verweigerte. Seine Vision der Welt ist in ihrer unaufgeregten Grosszügigkeit und Ganzheitlichkeit aktueller denn je.

Martin Jäggi

Andreas Züst, o.T. (Carey)
Andreas Züst, o.T. (Carey)

Biografie

Andreas Züst wurde 1947 in Bern geboren. 1967–70 Studium der Naturwissenschaften an der ETH Zürich. 1973–80 Forschungsassistent für Klimatologie und Glaziologie in Kanada, Grönland und den Schweizer Alpen. Seit 1979 diverse Einzel- und Gruppenaustellungen im In- und Ausland. Von 1991–94 Koproduktion des Peter Mettler-Films «Picture of Light». 1994 Gründung des Andreas Züst Verlags. Ab Mitte der 1990er Jahre Zusammenarbeit mit dem Schriftsteller Peter Weber für die Tonbildschau «Himmel». Verstorben am 7. August 2000.

Eine ausführlichere Biografie von Stephan Kunz findet sich im Lexikon und der Datenbank zur Kunst in der Schweiz und im Fürstentum Liechtenstein des Schweizerischen Institut für Kunstwissenschaft.

 

Biefer/Zgraggen, Gulliver in Liliput, 1993Biefer/Zgraggen, Gulliver in Liliput, 1993
Andreas Züst und Christoph Herzog; aus: Kamera, 1981Andreas Züst und Christoph Herzog; aus: Kamera, 1981
Andreas Züst, o.T.Andreas Züst, o.T.
Andreas Züst, SelbstporträtAndreas Züst, Selbstporträt
Andreas Züst, Selbstporträt, um 2000Andreas Züst, Selbstporträt, um 2000